Aber die Jugend ist starrköpfig und hat von ihrem Standpunkt aus recht!

Maxim Gorki

In der Mittelstufe rückt nach und nach die gesamte Welt in das Blickfeld des Kindes. Ausgehend von der Heimatkunde, die das direkte Umfeld des Kindes betrachtete, weitet sich der Blick über Deutschland nach Europa hin aus. Auch die Menschen- und Tierkunde findet ihre Fortführung über die Pflanzen- und Gesteinskunde hin zu Ernährungslehre und Astronomie und endet in der Anatomie und Sexualkunde. Die Erzählungen der Unterstufe weichen dem Geschichtsunterricht. Anhand von Biografien werden Zeitgeschehnisse betrachtet und besprochen. Die genaue Beobachtung und die nüchterne, getreue Wiedergabe des Gesehenen und Gehörten schaffen eine neue Form des Denkens: Kausalitäten werden erfasst und erkannt.

Mit dem Theaterstück, der 8 Klassarbeit mit Präsentation vor Publikum und einer längeren Klassenfahrt schließt die Mittelstufe ab und die behütete Klassenlehrerzeit findet ihren Abschluss.

5. bis 8. Klasse

5. Klasse: Harmonie

Gleichklang zwischen außen und innen

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Die Mitte der Kindheit ist erreicht. Körperlich und seelisch ist es eine Zeit von besonderer Harmonie.

Der Atemrhythmus wird gleichmäßig – ein Gleichklang zwischen außen und innen stellt sich ein. Das Lernen erfolgt nun weniger aus dem Tätigsein, jedoch noch nicht zu viel aus den Kopfkräften heraus. Die Mitte wird angesprochen, das Gefühl; damit hängt das Lernen innig zusammen. Maßgebend ist alles Künstlerische, Schöne; dafür sind die Kinder jetzt am empfänglichsten.

Unsichtbar die Mitte finden, seine eigene Mitte finden und sich damit verbinden geschieht z. B. in der Freihand-Geometrie. Der ganze Mensch ist beteiligt, wenn ein Kreis gezeichnet wird. Konzentriertes Hinschauen wird dabei gefordert, Ruhe kann gefunden werden. Geübt wird das selbständige Denken aus der Anschauung heraus.

In den Geschichtsepochen werden die Hochkulturen besprochen: Indien, Persien, Zweistromland, Ägypten und schließlich Griechenland, wo vor allem in der plastischen Kunst die Schönheit der Körper in vollendeter Harmonie zur Darstellung kommt. Die olympischen Spiele als religiöse Feste, noch kein Wettkampf. Sparta, Athen, Alexanderzüge. Und als neues, sich bei den Kindern anbahnendes Element: die Irrfahrten des Odysseus.

Im Geographieunterricht wird Deutschland behandelt. Einzelne Zonen werden herausgegriffen und die jeweilige Lebensweise betrachtet: am Meer, im Gebirge, an einem großen Fluss. Die Kinder lernen die Orientierung auf der Karte, wo welche Flüsse, Gebirge, wo einzelne Städte liegen. Ebenso die Bundesländer und deren Hauptstädte.

Neu hinzu kommt die Pflanzenkunde. Die Pflanzenwelt in ihrem Werden, gegliedert in einzelne Evolutionsstadien wird vor die Kinder hingestellt: Moose und Flechten, Pilze, Farne, Blütenpflanzen, Nadel- und Laubbäume. Genaues Hinschauen wird angeregt. Ein kleines Referat wird von den Kindern eigenständig erarbeitet und vor der Klasse gehalten.

In der Schreibepoche werden die vier Fälle behandelt, auch der Satzbau, die adverbiale Bestimmung sowie Aktiv-Passiv. Das Schreiben von Geschäftsbriefen wird geübt.

Im Fremdsprachenunterricht gibt es eine kleine Erzählung als erste Lektüre. Dazu werden Vokabeln geübt und regelmäßig Diktate und Grammatik-Tests geschrieben. Textarbeit und Grammatik als Schwerpunkte wechseln epochenweise. Immer noch werden Lieder gesungen und Gedichte gesprochen. Durch lautes Vorlesen wird die Sprache geübt; Sprache muss erklingen, dann schleifen sich Begriffe und Redewendungen ein.

In diesem Schuljahr haben die Kinder zum ersten Mal Werken.  Aus frischem Holz wird z. B. ein Brieföffner geschnitzt. Die Arbeit mit dem Schnitzmesser erfordert hohe Konzentration, Aufmerksamkeit und Vorsicht, weshalb sie dabei noch im Kreis sitzen.

In der Handarbeit wird beim Stricken von Strümpfen wird die Fläche verlassen, die Runde geschlossen, es wird räumlich gearbeitet, auch Details wie Ferse und Spitze müssen bewältigt werden.

6. Klasse: Rechtsprechung

Umbruch

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Im 12. Lebensjahr geht eine deutliche Veränderung vor sich. Was eben noch harmonisch zusammenspielte, gerät nun aus den Fugen.

Das Längenwachstum setzt ein, die Kinder fallen in die Schwere. Das Lernen fällt ihnen schwer, sie haben den Kopf nicht frei. Gewohntes bricht zusammen. Die Zuneigung zu Eltern und Lehrern scheint wie weggeblasen. Zwischen Zustimmung und Ablehnung sind sie hin- und hergerissen. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Durch die heute meist verfrühte körperliche Entwicklung gegenüber der seelischen entsteht oft ein Spannungs- und Problemfeld.

Sie haben eine neue Lebenshaltung, sind interessiert an Neuem, verspüren den Drang nach Erfahrung, sind erlebnishungrig und risikobereit. Sie wollen ihren Standpunkt finden, ihren eigenen Geschmack. Aber sie brauchen Grenzen und klare Regeln. Korrekturen müssen erfolgen. Da kommt die Gesetzgebung im Römischen Reich gerade recht im Geschichtsunterricht.

Die seelisch-geistigen Kräfte erstarken, noch eher unbewusst. Der Wunsch nach Durchdringung von Naturgesetzen ist jetzt vorhanden. Fakten werden wichtig, kausales Denken und genaues Beobachten im Unterricht. Da setzt der erste Physikunterricht ein. Versuche müssen genauestens und ohne Vor-Urteil beobachtet werden. Am Ende des Unterrichts werden sie noch einmal in Erinnerung gerufen und dann zuhause aufgeschrieben. Erst am Tag darauf wird die Gesetzmäßigkeit entwickelt. Die Nacht dazwischen ist sehr wichtig; es tauchen dann auch andere Fragen auf.

Auch Polaritäten spielen im Unterricht eine Rolle. Was ist über mir? In der Himmelskunde lernen die Kinder die Planeten kennen, die Sternbilder, Finsternisse , den Jahreszeitenverlauf. Was ist unter mir? Gesteinskunde. Schwarz-Weiß-Zeichen mit Schattenwurf. Dabei in allem die Schönheit und Gesetzmäßigkeit aufzeigen und Freude daran entwickeln.

In den Geschichtsepochen wird den Kindern vom Römischen Reich erzählt, von Äneas bis Julius Cäsar, Zeitenwende, Völkerwanderung. Bestimmte historische Ereignisse werden exemplarisch herausgegriffen. Wann etwas war und was gleichzeitig passierte können die Kinder noch schwer einordnen.

In der Erdkunde wird Europa angeschaut. Wieder wird ein Referat selbständig erarbeitet und vorgetragen. Ein europäisches Land suchen sich die Kinder dafür selbst aus.

Im Deutschunterricht geht es jetzt um den Konjunktiv, direkte und indirekte Rede. Die Texte im Epochenheft werden diktiert. In der Geometrie wird es genauer: es wird mit Zirkel, Lineal und Geodreieck gezeichnet.

Im Handarbeitsunterricht geht es aus der Fläche in die Räumlichkeit: Sie entwerfen, d. h. malen ein Tier (Bär, Hase oder Elefant), setzen es dreidimensional um und nähen es. Die Kinder müssen sich mit Proportionen beschäftigen, wie es unbewusst bei ihnen selbst geschieht.

7. Klasse: Perspektivwechsel

Extreme innere Zerrissenheit

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Im 13. Lebensjahr erfolgt der totale Umbruch. Physiologische Veränderungen setzen sich fort, die Knochen werden schwerer, die Bewegungen schlaksiger und eckiger, die Schüler wissen nicht wohin mit Armen und Beinen und merken nicht, wenn sie irgendwo gegentreten. Die Mädchen sind den Jungen jetzt in ihrer Entwicklung voraus.

Auch die Seelenverfassung wird eine andere; die Schüler spüren innerlich eine extreme Zerrissenheit. Einerseits wollen sie selbst bestimmen, selbständig werden, andererseits noch Kind sein, kuscheln.

Alles wird ausprobiert und Reaktionen von Eltern und Lehrern ausgetestet: Wie weit kann ich gehen? Sie wehren sich gegen Autorität und kritisieren viel. Sie reagieren mit Langeweile und Verweigerung – was will man eigentlich ständig von ihnen? Sie sind sehr mit sich selbst beschäftigt, müssen sich neu finden. Aufbruch zu neuen Ufern.

Umso mehr brauchen sie Klarheit und verlangen nach Grenzen, gerade in der Auseinandersetzung. Jetzt erwacht das Bedürfnis, kognitiv zu erfassen, also werden die intellektuellen Fähigkeiten, das Denken, beansprucht und Zusammenhänge aufgezeigt.

Im Geschichtsunterricht ist die Neuzeit auf dem Plan, Erfinder und Entdecker stehen im Vordergrund: die Entdeckung der Kontinente, Heinrich der Seefahrer, Kolumbus, Galilei, Gutenberg. Und die Weltveränderung durch das Aufkommen des naturwissenschaftlichen Denkens.

Die Kulturverhältnisse anderer Völker lernen sie in der Erdkunde kennen. Am Beispiel eines Kontinentes, z. B. Afrika, werden Klimaverhältnisse, Sonnenlauf und Jahreszeiten aufgezeigt und deren Auswirkung auf die Vegetation (Tropen, Steppe, Wüste).

Mit Einzug der Perspektive in der Kunst zeigt sich menschheitsgeschichtlich eine neue Wahrnehmung. An dieser Stelle stehen die Schüler entwicklungsmäßig. Sie haben einen neuen Blick, können gedachte Linien erfassen, konstruieren, Gesetzmäßigkeiten erkennen. Im perspektivischen Zeichnen wird Raumgefühl, Raumerleben, Denken und exaktes Arbeiten geschult.

Die erste Chemie-Epoche wird gegeben. Wo es innerlich brodelt, lässt man die Schüler äußerlich die Qualitäten des Feuers erleben; Verbrennungsprozesse, Säuren und Laugen. In der Physik ist die Mechanik (Hebelgesetze) dran, sowie Akustik, Optik, Elektrizität, Magnetismus, Wärmelehre. Wieder mit Bezug zum Menschen: Akustik - Ohr, Kehlkopf, Stimme oder Optik – Auge. Die Schüler lernen, aufmerksam zu beobachten.

In diesem Schuljahr machen die Schüler ein Praktikum in der Schulmensa. Sie lernen dadurch einen kleinen Betrieb kennen und Verantwortung zu übernehmen. Ein Berichtsheft wird geführt. Im Rahmen dieses Praktikums bekommen sie auch Unterricht in Ernährungs- und Gesundheitsfragen, ebenso über Drogen, Alkohol und Genussmittel.

8. Klasse: Pubertät

Zur Selbstständigkeit finden

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Pubertät ist Umbauzeit. Und zwar durchaus im Wortsinn: Nerven im Gehirn verbinden sich anders, es finden richtige Turbulenzen im Organismus statt.

Man erreicht die Schüler*innen nicht, sie scheinen häufig nicht zu verstehen, schon gar nicht, was man von ihnen will. Es fällt ihnen schwer, Energie aufzubringen und zu überlegen. Seelisch sind sie reizbar und empfindlich. Mit Lautstärke überdecken sie Unsicherheit und Angst. Diese wollen sie nicht zeigen, sie wollen „cool“ sein. Mädchen distanzieren sich von den Jungen; die Jungen nerven, sie nerven auch sich selbst.

Die Geburt zur Selbständigkeit findet statt. Auseinandersetzungen müssen sein, die Schüler*innen lernen dadurch zu argumentieren. Im Grunde wollen sie schon lernen und arbeiten – man muss ihnen Verständnis entgegenbringen, sie ernst nehmen, Gelassenheit entwickeln.

In der Menschenkunde sind Knochenaufbau und Sehnen sowie einzelne Organe dran. Was erhebt den Menschen über das Tierreich? Der Augenaufbau. Wie steht der Mensch in der Welt? Die Fußwölbung (Brücke).

So findet sich auch in der Geschichtsepoche ein historischer Umbruch wieder: Die industrielle Revolution wird behandelt. Der Schwerpunkt liegt weniger auf politischer Ebene – das wird in der Oberstufe aufgegriffen – sondern vielmehr welche Veränderungen die Industrialisierung mit sich brachte, welche Bedeutung sie für das Leben hatte und was entwickelt wurde.

In der Geometrie werden Umfang- und Flächenberechnung von Kreis, Würfel und Quader durchgeführt. Auf genaues Arbeiten kommt es an, das erfordert hohe Aufmerksamkeit. Im Malunterricht wird die Farbe wieder aufgegriffen, das Malen in Schichten wird geübt.

In diesem Schuljahr beschäftigen sich die Schüler*innen mehrere Monate eigenverantwortlich und selbständig mit einem von ihnen gewählten Thema, der sogenannten Jahresarbeit. Diese umfasst einen theoretischen und einen praktischen Teil, welche beide handschriftlich verfasst werden. Die Arbeit wird vor den Eltern und Lehrern präsentiert und vorgetragen. Die Schüler*innen sollen damit in die Selbständigkeit hineinkommen.

Nach der Jahresarbeit als individuelle Arbeit steht nun das Klassenspiel an als Arbeit in der Gemeinschaft. Die Schüler müssen sich in einen Prozess sozialer Verbindlichkeiten hineinfinden. Jetzt heißt es, vom eigenen Standpunkt wegzukommen, eine Rolle zu verkörpern und zu gestalten, Sympathie und Antipathie möglichst beiseite zu lassen, zum richtigen Zeitpunkt präsent zu sein. Probenzeiten verantwortungsbewusst einzuhalten. Sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Auf jede Rolle kommt es an, jeder trägt zum Gelingen des Ganzen bei.

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