Was wir heute tun, entscheidet darüber, wie die Welt morgen aussieht.

Marie von Ebner-Eschenbach

 

 

 

Eine erlebbare Zukunft für Menschen und Umwelt

Umbau und Sanierung einer Militärgarage zu Kunst-Werk-Räumen einer Waldorfschule

Die Freie Waldorfschule Braunschweig befindet sich seit Anfang der 1980er Jahre auf dem Gelände eines ehemaligen Bundeswehrstandortes. Die Gebäude gruppieren sich um einen großen ehemaligen Sportplatz. Nach und nach wurden sie für die Schule umgebaut und nutzbar gemacht. 1995 wurde das Gebäudeensemble um einen Neubau für die Mittelstufe ergänzt.

Doch das reichte nicht. Die Schule brauchte dringend Platz für die an Waldorfschulen wesentlichen Unterrichtsfächer “Werken mit Holz” und “Metall”. Dafür eigneten sich vorzüglich die großen, hohen rohbaumäßig vorhandenen LKW-Garagenräume aus den 1930er Jahren. Sie wurden provisorisch so weit hergerichtet, dass hier unterrichtet und mit den erforderlichen Maschinen gearbeitet werden konnte. Das Obergeschoss nutzte man für Handarbeitsräume, das Weben an großen Webstühlen und den Theaterfundus.

Die provisorische Unterbringung zog sich länger hin als geplant und erwartet. Waldorfschulen sind keine staatlichen Einrichtungen, sondern organisieren sich selbst. Für Bauvorhaben bedeutet dies, dass sich Menschen finden, die sich mit intensivem Interesse und ehrenamtlich den damit verbundenen Aufgaben widmen: Planung und Finanzierung des Bauvorhabens, Zusammenarbeit und manchmal auch Auseinandersetzungen mit Lehrern und Eltern.

2015 war es dann soweit

Weil an der Waldorfschule Braunschweig Naturbelassenheit, Ökologie, gesundes Umfeld und Nachhaltigkeit hohe Priorität genießen, wurde das Ingenieur- und Planungsbüro Ökobau Tiarks aus Melle für den Bau beauftragt. Das Ingenieur- und Planungsbüro Dipl.-Ing. Hermann Tiarks wurde 1973 gegründet, seit 1985 mit der Fokussierung auf gesundes, ökologisches, nachhaltiges und umweltschonendes Bauen. Unter diesen Gesichtspunkten erfolgten viele Umbauten, Sanierungen und Restaurierungen, so wie Neubauten von Wohngebäuden, Hallen, Waldorfschulen und -kindergärten. Das Ingenieurbüro Ökobau Tiarks ist breit aufgestellt. Planung, Entwurf, und Tragwerksplanung gehören ebenso zu dem Leistungsumfang wie Energieberatung und Überwachung der Bauausführung. – Eine interessante Tätigkeit für einen potentiellen Nachfolger.

Das zukünftige Gebäude sollte folgende Aufgaben erfüllen:

  • Werk- und Kunsträume, die Schülern und Lehrern ein förderliches und ansprechendes Lern- und Lehrumfeld bieten
  • barrierefreie Erreichbarkeit aller Räume
  • energetisch optimale Lösung
  • Vermeidung von Natur- und Umweltbelastungen
  • Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Nutzer berücksichtigen

Der Zustand des vorhandenen Gebäudes hatte über die Jahre enorm gelitten. In den oberen Räumen hatte es wiederholt Wasserschäden gegeben, so dass die großen Webstühle im Handarbeitsraum, sowie der Theater- und Kostümfundus nicht mehr genutzt werden konnten. Die unteren großen und hohen Garagenräume konnten nur unzureichend beheizt werden. Einige der alten Garagentore waren zugemauert, die noch vorhandenen winddurchlässig. Aufgrund zu kleiner Fenster waren die Räume sehr dunkel.

Anfangs stand ein Abriss des Gebäudes zur Debatte, das durch einen frei gestaltbaren Neubau ersetzt werden sollte. Da das Garagengebäude, im Gegensatz zu dem äußeren Eindruck, eine gute Grundsubstanz aufwies, und weil es sich um einen äußerst stabilen Betonbau aus Ortbeton handelte - heute schon fast historisch - haben sich alle Beteiligten, der “Baukreis” der Schule sowie der Bauingenieur, zu einem Erhalt des Gebäudes entschlossen.

Daraus ergaben sich folgende Anforderungen: Möglichst viel von der soliden Bausubstanz zu erhalten. Und trotz der Umgestaltung zu einer von außen erkennbaren Waldorfschule sollte der Werkstattcharakter der Hallen erhalten bleiben. Es sollten Unterrichtsräume entstehen, in denen das Lehren und Lernen Freude bereitet. Nun wurde geplant: Im Erdgeschoss sollten in den vorhandenen Hallensegmenten Werkräume für die Mittel- und Oberstufe entstehen und für diese Unterrichtsfächer ein Maschinenraum mit Holzlagermöglichkeit. Außerdem wurde eine Schmiede benötigt. Für die Unterrichtsfächer Eurythmie, Buchbinden und Handarbeit sollten im Obergeschoß Fachräume entstehen.

Dann wurde gebaut: Zunächst wurden die Klassen in den Sommerferien mit freiwilliger Hilfe von Schüler*innen, Lehrer*innen, Eltern und dem Hausmeister ausgeräumt und vorübergehend in anderen Schulräumen bzw. Seecontainern untergebracht, und der Stundenplan den reduzierten Gegebenheiten angepasst. Die oberen Räume waren schon im Winter und Frühling getrocknet und geräumt worden. Ein Drittel der Garagen wurde nicht genutzt und deshalb abgerissen. Der für die Schule benötigte Garagenteil wurde bis auf die  Tragkonstruktion entkernt. Übrig blieben die Betonsohle, die stabilen Ortbetonrahmen mit einer Spannweite von ca. 10,50 m. Geschoss- und Dachdecken aus Stahlsteinelementen blieben ebenfalls erhalten, sowie die gemauerten Wände im EG. Die leichten Trennwände im OG wurden entfernt. Wo unbedingt notwendig, wurde Mauerwerk erneuert. Die Fensteröffnungen wurden vergrößert. Im EG wurden die Garagentore durch hohe Fenster bzw. Türen ersetzt. Nicht zuletzt aus Schallschutzgründen wurde für die  Schmiede/Metallwerkstatt ein separater Raum angebaut. Durch die Ziegelverblendung hebt sich dieses Gebäude von der Putzfassade des übrigen Komplexes ab. Die solide Bauweise unterstützt den Charakter einer Schmiede. Um den barrierefreien Zugang zum OG zu gewährleisten, erfolgte ein offener Treppenturm-Anbau aus Beton, in dessen Kern sich der Fahrstuhl befindet.

Energetische Optimierung

Dachdecke, Außenwände und EG-Fußböden wurden mit Zellulose-Dämmstoff und Holzweichfaserplatten gedämmt. Die U-Werte betragen für die Dachdecke und die Außenwände 0,15 W/m²K, für den Fußboden 0,10 W/m²K und die Fenster und Türen 1,34 W/m²K. Beheizt wird das Gebäude durch eine zentral vorhandene Holzschnitzelheizung. Der Ausbau zu einem Gründach und eine Photovoltaikanlage sind geplant.

Vermeidung von Natur- und Umweltbelastungen

Möglichst alle Aspekte des Energieeinsparens, des Natur- und Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit sollten für die Bauphase sowie für den Gebrauch des Objektes berücksichtigt werden. Einige Punkte seien hier genannt:

  • Beton- und Mauerwerks- Schutt aus dem Abriss der nicht genutzten Gebäude wurden an Ort und Stelle geschreddert, zwischengelagert und für den Unterbau der Schmiede, des Treppenturms und für die Wege benutzt. Das sparte neben der Energie für den Abtransport und die Beschaffung neuen Materials auch Kosten.
  • Wand-, Decken- und Dachaufbauten erfolgten mit Holzweichfaserplatten aus nachhaltiger Forstwirtschaft in Süddeutschland und Zellulose-Dämmstoff, hergestellt aus alten Zeitungen.
  • Wandbeschichtungen mit reinen Naturkalkputzen und -farben.
  • Unbehandelte Fichte/Tanne-Fußbodendielen aus Europäischer nachhaltiger Forstwirtschaft in den Werkräumen
  • In den Eurythmie- und Handarbeitsräumen Bodenbeläge aus Linoleum
  • Fenster und Türen aus europäischer Lärche, beschichtet mit Naturharzlasuren
  • Innentüren aus Esche, beschichtet mit Hartöl auf Leinölbasis
  • Alle diese Baustoffe und Bauteile sind wiederverwendbar, recycelbar oder können problemlos und kostengünstig entsorgt werden

Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Nutzer berücksichtigen

Die genannten Dämmstoffe sind besonders prädestiniert für den sommerlichen Wärmeschutz, wirken aber natürlich auch im Winter hervorragend. Das angenehme Raumklima wird dann noch verstärkt durch die warmen Oberflächen der Materialien. Die verwendeten Baustoffe sind weitestgehend geruchsneutral und daher auch für Allergiker geiegnet. Kalkputze und -anstriche resorbieren Gerüche und sorgen auch bei intensiver Nutzung der Räume für gute Luft. Durch die Decken- und Wandflächenheizung wird Strahlungswärme erzeugt, die sich positiv auf das Wohlbefinden der Menschen auswirkt und – besonders wichtig für die Werk- und Maschinenräume – Staubentwicklung gar nicht erst aufkommen lässt.

Die Eurythmieräume werden durch eine Belüftungsanlage ständig mit Frischluft versorgt, um die Fenster während des Unterrichts geschlossen halten zu können. Die Fußböden aus Holz und Linoleum fühlen sich warm an und wirken sich positiv auf die Kniegelenke aus, zumal Lehrer und auch Schüler beim Werken längere Zeit stehen. In den Eurythmiesäälen wurde dieser Effekt durch einen leicht schwingenden Boden noch verstärkt. Lediglich in den Nassräumen und in der Schmiede, wo an der Esse und Ambossen gearbeitet wird, wurden Fliesen verlegt.

Man kann sich vorstellen, dass gerade dort, wo unten gehämmert, mit Maschinen gesägt und gebohrt wird und oben in ruhiger Atmosphäre Eurythmie und Handarbeit unterrichtet werden soll, der Schallschutz eine besonders wichtige Rolle spielt. Dies wurde im EG durch eine schallentkoppelte Deckenabhängung mit Akustikplatten erreicht. In den Eurythmiesälen im OG verbessern leicht schräggestellte Wände die Raumakustik. Das hat zusätzlich den Vorteil, dass der lange Flur im OG im Eingangsbereich zu den Eurythmie- und Umkleideräumen durch eine Verbreiterung unterbrochen wird.

Inzwischen wird das Gebäude seit einem Jahr genutzt, und Lehrer, SchülerInnen und Eltern erfreuen sich an den neuen Kunst-Werk-Räumen.

Text: Marie-Luise Tiarks // Fotos: Marie-Luise und Hermann Tiarks

Beitrag erschienen in BDB-LANDESSPIEGEL 3/2023 (S. 20 bis 24)

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