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Schule ohne Rassismus
Oberstufe: Gedenkfahrt nach Majdanek
Vorbemerkung
Alle drei bis vier Jahre erinnern sich einige Schülerinnen und Schüler unserer Oberstufe daran, dass es früher einmal Klassen gab, die eine Fahrt nach Auschwitz durchgeführt und dann darüber berichtet hatten. So war es erneut vor gut einem Jahr, als zwei Schülerinnen der damaligen 11. Klasse fragten, ob nicht wieder einmal eine Fahrt nach Auschwitz durchgeführt werden könne.
Zunächst planten wir auf Grund dieser Anfrage tatsächlich eine Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz für den Januar 2022. Als dann aber die Coronazahlen wieder stark zunahmen, musste diese Fahrt abgesagt werden. – Im Herbst desselben Jahres entspannte sich die Lage, und so konnte ein zweiter Versuch gestartet werden. Da die Schlafplätze in der Jugendbegegnungsstätte in Oswiecem jedoch belegt waren und auch bei früheren Besuchen in Auschwitz schon der immer stärker werdende „Gedenkstättentourismus“ erlebbar wurde, richteten wir den Blick nun neu auf die auch von anderen Einrichtungen empfohlene Gedenkstätte in Majdanek, einem Bezirk innerhalb der ostpolnischen Stadt Lublin. Nach längerer und durchaus herausfordernder Suche fanden sich außerdem externe Einrichtungen, die die Fahrt unterstützten, nämlich die Internationale Begegnungsstätte (IBB) in Dortmund (Förderung mit Mitteln des Bundesministeriums für FSFJ) und die Jugendförderung der Stadt Braunschweig; zudem erklärte sich Herr Jungermann dankenswerterweise wie bereits 2019 bereit, mit der Christengemeinschaft als nicht-schulischer Einrichtung als äußerem Träger der Fahrt den Erhalt der Unterstützung zu ermöglichen, und so konnte die Fahrt im Spätherbst mit Frau Nawrath, Herrn Pientka und Herrn Straker als beteiligten Lehrern starten.
Eine wichtige und bewährte Rahmenbedingung für die Teilnahme an dieser Gedenkstättenfahrt ist die Selbstverpflichtung für jeden Schüler und jede Schülerin, sich in einer selbstgewählten Form mit den während der Fahrt gewonnenen Eindrücken auseinanderzusetzen. Das geschieht je nach Persönlichkeit unterschiedlich: in Form von Fotos, als Text-Bericht, in graphischer Form, als Gedicht oder vielleicht auch als Musikstück. Einige dabei entstandene Beispiele, Texte und Fotos seien im Folgenden vorgestellt. Alle Beiträge dazu werden in einem eigenen Berichtsheft gesammelt und an die Teilnehmer – und ggf. weitere Interessierte – ausgehändigt. - Mit dem Gesamtprojekt kommen wir zudem unserer Verpflichtung nach, uns aktiv an dem Slogan „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zu beteiligen, wie wir dies ja auch mit dem Logo unterhalb des großen Banners am Ernst-Weißert-Haus nach außen hin zum Ausdruck bringen. P. Babion
Zwei Eindrücke zur Majdanekfahrt von Lehrerseite
Für mich persönlich war die Fahrt mit der Schulgemeinschaft der Freien Waldorfschule Braunschweig nach Majdanek in den Herbstferien 2022 sehr emotional aufgeladen. Sie hat bleibende Eindrücke hinterlassen. In positiver Erinnerung sind mir, rückblickend auf diese Fahrt, besonders die Ernsthaftigkeit und innere Reife geblieben, mit der die Schülergruppe der Freien Waldorfschule Braunschweig an den Erinnerungsstätten und kulturellen Einrichtungen wie auch in dem jüdischen Museum in Warschau, dem „POLIN“, aufgetreten ist. Dies war trotz der vielen Reisestrapazen und zum Teil längeren Phasen ohne Verpflegung nicht selbstverständlich und dem gebührt mein allerhöchster Respekt! M. Pientka
Für mich war beeindruckend, wie feinfühlig und reflektierend die Schüler*innen mit diesem so schwierigen Thema umgegangen sind. Wie Manfred Pientka auch am Ende beschrieben hat: Sie sind mit einer inneren Reife und Ernsthaftigkeit aufgetreten, die wahrscheinlich in dem Alter gar nicht so selbstverständlich ist. Die Beteiligung an den Gesprächen und beim Rückblick am Abend zeigte, wie tiefgründig sie sich mit dem Gesehenen und Erlebten beschäftigten und wieviel es in ihnen ausgelöst hatte.
Ich hatte stets das Gefühl, dass man sich auf diese Schüler und Schülerinnen verlassen kann, egal wie groß die Erschöpfung und Strapazen auch waren. Sie haben nicht nur alles „mitgemacht“, sondern auch „mitgefühlt“. Ich bin dankbar, dies mit ihnen erlebt zu haben. M. Nawrath
Majdanek von Schülerseite
Es ist kalt, als wir den überfüllten Bus vor dem Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek verlassen. Vor uns erstreckt sich eine riesige Wiese, auf der in der Ferne ein paar Baracken zu sehen sind. Sofort springt einem das große Denkmal ins Auge. Direkt an der viel befahrenen Straße, sodass man es gar nicht übersehen kann.
An einem Gebäude auf dem Gelände von Majdanek erwarten uns schon zwei junge Frauen, die nur wenige Jahre älter sind als ich. Sie sind dort ein Jahr freiwillig und begleiten Gruppen wie die unsere durch das Lager. Sie führen uns zunächst zum großen Denkmal und fragen uns, was es darstellen könnte. Es sollen entstellte Menschen sein. Wenn man es weiß, sieht man es sogar ein wenig.
Nach einem kurzen Fußmarsch erreichen wir einen kleinen Platz zwischen den ersten beiden Baracken. An diesem Ort wurde willkürlich entschieden, wer leben darf und wer sterben muss. Es ist schrecklich zu hören, wie die Menschen damals hier behandelt wurden.
In der nächsten Baracke hängen viele Fotos von damals und heute. Viel hat sich an diesem Ort seitdem nicht verändert. Was dann folgt, macht das Ausmaß der Vernichtung in diesem Lager sehr deutlich. Ein Raum voller Schuhe. Es müssen tausende gewesen sein. In einem anderen Gebäude befindet sich eine Ausstellung von Gegenständen, die in dem Lager gefunden wurden. Betten aus Holz, Spielzeug, alte Kleidung und vieles mehr.
Als wir uns auf das letzte Gebäude zubewegen, fallen mir die vielen Raben und Krähen auf, die auf den Zäunen und Wachtürmen sitzen. Es war das Krematorium. Als wir es betreten, riecht es verbrannt. Große Öfen stehen in der Mitte des Raumes. Ich glaube, wir waren uns alle einig, dass wir uns nicht lange in diesem Raum aufhalten wollen. Ole, 13. Klasse
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Man könnte nach dem, was ich bereits erzählt habe, denken, dass ich den Eindruck gehabt hätte, dass alles schlecht, schlimm und aussichtslos gewesen sei, aber an dem Tag unserer Abreise (bei unserem Abschiedsbesuch) war zwar immer noch dieses drückende Gefühl da, aber es gab und gibt Hoffnung, dass all diese Menschen nicht umsonst gestorben sind und dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Meine Hoffnung wird dadurch gestützt, dass viele, wenn auch nicht alle, bereits aus den Fehlern gelernt haben und alle Länder dieser Welt verhindern, dass eine derartige Katastrophe erneut ausbricht.
Das letzte Bild, was ich in Majdanek gesehen habe, war der Anblick des KZ, welches wie die Hölle auf Erden dort stand, aber die Sonne leuchtete und brachte den Ort zum Strahlen. Es war wohl ein trauriges Bild, aber zugleich voller Hoffnung … Torben, 10. Klasse
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Teil unserer Führung durch das Konzentrationslager Majdanek war ein Film, in dem Überlebende über ihre Zeit im Konzentrationslager berichteten.
Diese Geschichten wirkten jedoch nicht ausschließlich grausam und verstörend auf mich, wie man angesichts der Umstände erwarten könnte. Viele der Zeitzeugen berichteten demgegenüber von aufbauenden Situationen, die von Freundschaft, Zusammenhalt und Mut geprägt waren. So wurde z. B. erzählt, wie sie in kleinen Freundesgruppen von 3 bis 6 Personen füreinander sorgten und manchmal etwas Brot für einen schwächeren Freund opferten. Auch wurde von einem Mann erzählt, wie ihm nachts die Schuhe gestohlen wurden und er daraufhin mehrere Wochen lang seine Brotrationen sparen musste, um sich mit dem gesammelten Brot ein neues Paar Schuhe kaufen zu können. Letztendlich verschenkte dieser Mann seine neu gekauften Schuhe an einen kranken Freund und musste wieder anfangen, sein Brot zu sparen. Neben solchen und anderen aufbauenden Geschichten gab es auch solche, die man nur schwer ohne Tränen über die Lippen bringen kann. Tobias, 13. Klasse
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Die nachgebauten Baracken, die Spuren des Zyklon B an den Wänden der Gaskammer und die schier unendliche Menge an hinterbliebenen Schuhen zu sehen, ist mir und uns auf einer noch viel tieferen Ebene nahegegangen.
Deswegen denke ich, dass das Besichtigen von Gedenkstätten so wichtig ist. Es macht die Geschichte viel realer. Statt Fakten und Schwarz-Weiß-Fotos von Stacheldrahtzäunen sieht man das, was von den Schauplätzen der Verbrechen übrig geblieben ist.
Plötzlich steht man vor einem Berg aus Asche oder einer Wand voller Namen und das Ausmaß wird greifbar. Greifbarer, aber nicht begreifbarer. Stolpersteine und andere Denkmäler fallen mir nun mehr auf als vor der Fahrt und es vergeht beinahe kein Tag, ohne dass ich in irgendeiner Form an die Opfer der Shoah denke.
Außerdem fühle ich mich verantwortlicher als früher, dass es wichtig ist, gegen Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen aktiv zu werden, um Mitgefühl und Menschenwürde aufrecht zu erhalten, damit es nie wieder so weit kommen kann. Änne, 11. Klasse
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